Michels Moderation beim Jahreskonzert 2025
Ansage Michael 1 [3:30]
Zwischen Florentiner und Peer Gynt
FLORENTINER MARSCH, Julius Fucik, Arr. Bruno Hartmann
Guten Abend meine Damen und Herren. Schön dass Sie trotz Ausflugswetters und sich aufdrängender Gartenarbeit den Weg in diese festliche Halle eingeschlagen haben. Sie werden nichts vermissen, nimmt Sie der Musikverein Holzgerlingen unter der Leitung von Christoph Kächele doch auch dieses Jahr wieder mit auf musikalische Exkursionen. Mit dem Florentiner Marsch von Julius Fucik waren wir bereits in Norditalien, weitere Stationen führen uns um die ganze Welt und sogar in ihr geheimnisvolles Inneres. Mein Name ist Michael Lehmann, ich bin ein aufrichtiger Mensch von da, wo die Fichte wächst. Diese Aussage wird sich Ihnen noch erschließen. Anstelle von Kopfhörern und eines Audioguides bin ich Ihr Stadt- und Länderführer an den einzelnen Zwischenstopps des Großen Orchesters. Doch der Reihe nach. [00:45]
„La Rosa di Toscana“ nannte Fucik den Marsch, erst sein Verlag hat ihn in „Florentiner“ umbenannt. Das ließe sich besser vermarkten und Künstler hätten da nicht immer ein Händchen für. Aber wer weiß, vielleicht hätte sich der Marsch auch als „La Rosa“ zu einem der meistgespielten Märsche entwickelt. Fucik war mit seiner Militärmusik nämlich sehr erfolgreich, er gab Konzerte vor mehreren Tausend. Wenn auch eher aus äußerem Zwang als aus innerem Antrieb. Größere Leidenschaft, so die Literatur, legte Fucik für avantgardistische Werke an den Tag oder für skurrile Stücke wie „Die Gardinenpredigt“ oder die „Symphonia Scandaleuse“. Ich sehe Interesse in Ihren Gesichtern. [00:40]
Fucik stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Seine Oma war es, die ihm das Musikstudium finanzierte. Und die Oma, in dem Fall meine, war auch der Grund, dass ich zum nächsten Stück einen besonderen Bezug habe und es ausgesprochen gern ankündige und spiele. [00:15]
PEER GYNT SUITE I, Edvard Grieg, Arr. Bruno Rossi
Eine beeindruckende Schallplattensammlung mit sinfonischen Werken hatte sie, meine Oma, darunter die Peer Gynt Suiten von Edvard Grieg. Nach der Gartenarbeit habe ich sie damals gerne als Musik zum Kuchen ausgesucht. Die Oma gibt es nicht mehr, der Garten ist ein anderer, aber diese Musik, die liebe ich immer noch.
Und ich bin mir sicher, dass ich damit nicht allein bin. Sonst würde man die Stücke der ersten Peer Gynt Suite nicht allenthalben hören. Leider oft in bizarrem Kontext. Allein die Werbeindustrie hat Griegs Weisen dutzendfach gekapert und versucht, uns damit zum Kauf insbesondere von Morgenprodukten wie Kaffee, Shampoo, Margarine oder Bier zu verleiten. Zum Glück sind die Autoren – Henrik Ibsen bat Edvard Grieg, sein Drama Peer Gynt zu vertonen – schon tot. Aber wenn Sie nicht auf der Margarine abgleiten, wird schon bei den ersten Klängen von Flöte und Oboe in der Morgenstimmung, dem ersten Satz, ein Idyll aus Meer und Bergen vor Ihrem inneren Auge entstehen. Das äußere Auge hüllt sich derweil in einen Schleier der Rührung. Bei mir zumindest. [01:00]
Nicht weniger emotional kommt der zweite Satz daher. Peer, auf seiner Wanderung und Suche nach sich selbst, kniet am Bett seiner sterbenden Mutter Aase. Im dritten Teil versucht Anitra, eine orientalisch anmutende Tänzerin, den Zweifelnden mit ihrer Anmut zu betören, aber auch, ihn mit List zu verführen.
Der Bergkönig schließlich, in dessen Hallen Ibsen bzw. Grieg den jungen Peer Gynt hinabsteigen lässt, zieht den Besucher wie den Protagonisten in seinen Bann. Mit aller Kraft kann Peer sich der Macht der Trolle entziehen und aus dem Felsverlies fliehen – und damit seine inneren Ketten sprengen.
Meine Damen und Herren, vergewissern Sie sich griffbereiter Taschentücher und halten Sie sich fest – gegebenenfalls an Ihrer Nebensitzerin – und begleiten Sie Peer Gynt, mit dem Musikverein Holzgerlingen unter der Leitung von Christoph Kächele durch ein Norwegisches Drama. [0:50]
Ansage Michael 2 [4:50]
(nach der Pause, zw. Meine Heimat u Around the World)
Schön, dass sie wieder da sind, meine Damen und Herren. Nach den Darbietungen der Berkenschul-Bläserklasse und der Otto-Rommel-Big-Band wäre ja durchaus Gelegenheit gewesen, sich mit Schmalzbrot und Zahnbürste im Rachen zufrieden zu absentieren. Ihre Verbundenheit weiß der MVH sehr zu schätzen.
Und um Verbundenheit ging es auch im eben gehörten Stück, um mehr noch, um Treue, um Liebe gar.
MEINE HEIMAT, Mathias Gronert
„Meine Heimat bist nur Du“ hat Mathias Gronert die Polka betitelt. Sie haben‘s bemerkt, wir haben die Reihenfolge etwas verändert. Gronert lebt die Musik in vielen Facetten. Er komponiert, arrangiert und dirigiert, er leitet einen Verlag, spielt mehrere Instrumente, hat eine Ausbildung als Tonmeister und ist einer der Polkaspezialisten unserer Zeit. Da liegt die Vermutung nahe, dass mit dem „bist nur Du“ im Titel der Polka, Gronert seine Liebe zur Musik zum Ausdruck gebracht hat. Einer Liebe, mit der er hier im Saal in guter Gesellschaft wäre.
Mit Liebe hat auch das nächste Stück zu tun, wenn auch erst in der Schlusssequenz nach etwa zehn Minuten. [1:05]
AROUND THE WORLD IN 80 DAYS
In 80 Tagen um die Welt heiß das nächste Stück. Den Titel kennt man irgendwie, aber als Blasmusikversion? Über dem Notenblatt steht der Satz „Dedicated to and commissioned by Musikkapelle Aistersheim. Conductor Magister Hermann Pumberger“. Grund genug, zum Hörer zu greifen und mit dem Mann einen Plausch zu halten.
Hermann Pumberger ist Direktor der Landesmusikschule Grieskirchen und Neumarkt, Bezirkskapellmeister und Präsident des oberösterreichischen Blasmusikverbands. Und klingt trotz der vielen Posten ziemlich entspannt. Zumal beim Thema „In 80 Tagen um die Welt“. Da kommt er ins Erzählen: [00:40]
Ja, der Otto und er, sie sind seit Jahrzehnten befreundet und gemeinsam in zahlreichen Gremien und Jurys. Und das mit dem Stück, das kam so: Die Musikkapelle Aistersheim war 2008 genau 125 Jahre alt. Und Pumberger war der Oberstabführer – Dirigent also. Anlass für ein großes Fest und Anlass für Geschenke. Eines der Geschenke kam von ihm, von Pumberger. Ein Musikstück. Aber eines, das eigens für das Jubiläum komponiert werden sollte. [0:30]
So setzte er sich bei nächster Gelegenheit mit dem Otto zusammen und beim Bier war der Auftrag rasch fixiert: Aistersheim, ländlich in der Nähe von Linz, 90 % Felder und Wälder. Im Ortsgebiet gibt es zwei Straßennamen. Für nicht ganz tausend Einwohner. Einen Fußballplatz gibt es nicht. Aber eine Blasmusik. Mit über 50 Aktiven. (Auf Holzgerlingen umgerechnet müssten heute etwa 700 MusikerInnen hier oben sitzen.) Diese Abgeschiedenheit und die inbrünstige Musikbegeisterung der Aistersheimer verlangte nach einer musikalischen Reise. Einer großen Reise. Es war ja auch ein großes Jubiläum. Daher sollte Otto M. Schwarz eine der bekanntesten Reisen der Literaturgeschichte vertonen: Jule Vernes Roman „In 80 Tagen um die Welt“ aus dem Jahr 1873. [0:50]
Die Story ist hinlänglich bekannt, deshalb nur eine Kurzfassung: Der wohlhabende Brite Phileas Fogg wettet mit Geschäftsfreunden, dass er, zusammen mit seinem Diener Passpartout in 80 Tagen einmal um die Welt reisen könne. Start ist in London, Big Ben ertönt. Erst per Heißluftballon, dann im Schienenschwellentakt per Zug, reisen sie gen Osten. In Frankreich und Italien hören wir Nationalhymnen, bevor sie den neu eröffneten Suezkanal erreichen – orientalische Klänge kommen auf. Oboe und Schlange züngeln. Die Briten retten eine Inderin, die zusammen mit dem Leichnam ihres Gatten auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden soll – emissions- und menschenrechtlich heute undenkbar – gleichzeitig ist ihnen ein mysteriöser Geheimagent auf der Spur. Eine Horde Elefanten blockiert ohrenposaunend die Gleise, Umstieg vom Waggon und Weiterreise auf dem Dickhäuter Werner zum nächsten Hafen mit den Zielen Hong Kong und Yokohama. Süss-sauer-stäbchengestelzte Klarinetten und Opiumpfeifen; schlitzgedämpfte Sumo… pardon Samuraitrompeten. Zu dritt – die Witwe zog die kühlen Briten den hitzigen Brahmanen vor – per Raddampfer über den Pazifik nach San Francisco. Wild-West-Sound, Indianergeheul, ‚tschuldigung „Gesang“, und wieder Gleisschwellen sind zu hören auf der neuen Bahnlinie quer durch Amerika. Glitzer-Glamour-Empfang in New York New New. Unüberhörbar die Schiffshupe vor der eiligen Abfahrt über den Atlantik zurück in die Heimat. Letzte Etappe von Liverpool nach London wieder per Bahn. Unverkennbar tickt die Uhr. In letzter Sekunde gewinnen sie die Wette. Und, hier kommt die versprochene Liebe, der Sieger Phileas Fogg heiratet die gerettete Witwe – und wenn sie nicht gestorben sind…
Herr Oberstabführer Magister Kächele, bitte Einsteigen zur Abfahrt Richtung Osten. [1:50]
Ansage Michael 3 [2:45]
LATIN FAVOURITES
„Küss mich, küss mich feste!“ Wird Christoph Kächele Ihnen gleich durch die Blume zurufen. Oder vielmehr durch die Tenorhörner föhnen lassen. Besame Mucho heißt dieses nach Zärtlichkeit gierende Lied von Consuelo Velázquez auf Spanisch. Weltweit bekannt und beliebt wird es inbrünstig interpretiert von Verliebten und von Erbschleichern, von Verführern und Unverfrorenen aller Kontinente. Zum Beispiel von uns.
Ich habe gelesen, dass Velázquez das Lied geschrieben haben soll, bevor sie ihren ersten Kuss erhalten hat – ob sie nach dem Kuss jegliche Inspiration verloren hat, stand da nicht mehr. Genießen wir also vorsichtshalber den ungeküssten Lockruf, die in Ton gefasste Aufforderung zum Austausch von Körpersekreten. Ich sehe schon, Ihnen läuft das Wasser im Mund zusammen. Wir fangen gleich an. Aber da sind noch zwei Stücke in den Latin Favourites von Peter Kleine Schaars: [0:55]
Guantanamera zum Beispiel. Bei Guantánamo fällt einem zunächst das Gefangenenlager ein und die Häftlinge in orangeroten Overalls. Aber ich will Ihnen die Sonntag-Nachmittag-Stimmung und vor allem die gute Spenderlaune nicht verhageln, deshalb liefere ich gern etwas Besänftigenderes nach:
Eine guajira guantanamera ist eine Frau, ein Mädchen, oder genauer gesagt eine Bäuerin aus Guantánamo, Kuba. Gleichzeitig ist Guajira auch der Name für eine Art des Flamenco. Ob in dem Gedicht, das dem Lied Guantanamera zugrunde liegt, also eine bodenständige Holde vom Land oder ein Tanz besungen wird, bleibt unklar. Auch der Text hilft hier nicht weiter: „Ich bin ein aufrichtiger Mensch – von da, wo die Palme wächst – und bevor ich sterbe, möchte ich – mir meine Verse von der Seele singen“. Der MVH spielt sich die Noten von der Seele, für Sie, liebes Publikum, für jeden und jede, ob Bäuerin oder nicht. [0:55]
Den Abschluss bildet Quando.
Die Welt ist im Umbruch, Grenzen werden in Frage gestellt, Säbel rasseln. Da tut es gut, sich eine idyllische musikalische Auszeit zu gönnen. Aber Obacht, der Schein trügt. In den „Latin Favourites“, also einer Zusammenstellung lateinamerikanische Lieblingslieder, steht auch Quando, Quando, Quando. Unter dem Deckmäntelchen eines brasilianischen Bossa Nova entpuppt sich das Stück bei näherem Hinsehen als italienischer Schlager aus den 1960ern. Aber egal, nett anzuhören ist er und die Schlagzeuger bieten eine Hüftschwung-betonte Performance – die sieht man von Ihnen aus leider nicht, da stehen die Trommeln im Weg.
Aber jetzt zur Musik. Nur einen Satz noch, und zwar die Schlusszeilen der Kubanischen Nationalhymne „Hört das Signal der Trompete: Zu den Waffen, mutige Helden!“ [0:55]
Ansage Michael 4 [2:05]
WEST SIDE STORY
Ein letztes Stück, aber mit drei Liedern steht noch im regulären Programm, das Christoph Kächele mit dem Musikverein Holzgerlingen für Sie erarbeitet hat. Und diese drei Lieder sind etwas Besonderes, sie stammen aus dem erfolgreichsten Musical des 20. Jahrhunderts, aus der West Side Story von Leonard Bernstein. Arrangiert hat das Stück Naohiro Iwai. Und damit wissen Sie als treues Publikum aus den vergangenen Jahren, dass gleich Harmonien eines Japaners erklingen, die sich dem unbelasteten Ohr nicht sofort erschließen. Aber seien Sie sicher: des g’hört so.
Grundlage für den Stoff ist Romeo und Julia von Shakespeare. Bei Bernstein liegen aber nicht zwei oberitalienische Familien in Fehde, sondern zwei Jugendbanden im New York der 1950er Jahre. Wie im Original gerät ein Liebespaar zwischen die Fronten und hat eine Achterbahn an Emotionen zu durchfahren. Rassismus und persönliche Anfeindungen flammen auf in „I want to live in America“. Ein Wunsch, der im Jahr 2025 mit dem blonden Trampel etwas an Glanz verliert. Die hoffnungsfrohe, romantische Zweisamkeit in „Tonight“ stimmt versöhnlich, während alle außer dem Paar wissen, dass es keine Versöhnung geben wird. Die Aggression steigt, Rivalität wird offen zur Schau getragen. Eine Eskalation ist unvermeidlich beim Mambo, dem „Dance at the Gym“. Und wie so oft, geht auch diese Liebesgeschichte nicht gut aus. [1:25]
Das soll Sie aber nicht weiter betrüben meine Damen und Herren, schließlich ist es ja nur die Musik zu einer fiktiven Geschichte. Und Geschichten gibt es viele. Je nach Applaus erzählen wir noch ein, zwei weitere. Es liegt an Ihnen. – Ich für meinen Teil bin von da, wo die Fichte wächst und habe gemerkt, dass man in Holzgerlingen auch ganz gut leben kann. Vielen Dank, dass Sie heute dabei waren, tragen Sie freudig die Ohrwürmer nach Hause und werfen Sie dafür den Ausdruck Ihrer Zufriedenheit und Ihres Wohlwollens in unser Spendenkässchen.
Viel Spaß mit Christoph Kächele und dem Musikverein Holzgerlingen mit einer leicht verstrahlten West Side Story. Bleiben uns Sie uns gewogen. [0:40]

